Wie erhalten wir unseren Wohlstand trotz Arbeitskräftemangel?

In den letzten Jahren wurden wir nicht gerade verschont. 2022 erlebten wir eine intensive und herausfordernde Zeit. Die geopolitischen Unsicherheiten und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft haben Spuren hinterlassen, die noch lange nachklingen werden.

Der Mangel an Fachkräften – an Arbeitskräften ganz allgemein – strapaziert die Schweizer Wirtschaft zusätzlich. Nicht nur die geopolitischen Unsicherheiten, sondern auch die demographische Alterung trägt dazu bei. In den nächsten Jahren gehen die Babyboomer scharenweise in Rente. Der Arbeitsmarkt wird sich daher in nächster Zeit nicht entspannen – ganz im Gegenteil. Gemäss verschiedener Studien wird es bis 2023 bis zu 500'000 offene Stellen geben. Es liegt auf der Hand, dass unsere Branche eine ganz spezielle Verantwortung trägt und einen besonderen Beitrag zu einer gesunden, attraktiven und somit innovativen Wirtschaft leisten muss. Ohne die notwendigen Arbeitskräfte ist der Wohlstand der Schweiz in Gefahr.

Der Fachkräftemangel schlug sich auch in der letztjährigen Geschäftsentwicklung der Personaldienstleistungsbranche nieder, nahm doch die Anzahl der von Temporärarbeitenden geleisteten Arbeitsstunden um rund 8 % zu. Das Feststellengeschäft verzeichnete sogar einen Anstieg um 13 %. Ein eindeutiges Signal, dass Unternehmen vermehrt auf externe Unterstützung setzen, um ihre unbesetzten Stellen so rasch wie möglich zu besetzen.

In Zukunft wird sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt weiter zuspitzen. Arbeitskräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Sollten wir nicht in der Lage sein, die offenen Stellen mit den notwendigen Kompetenzen zu besetzen, wird sich dies ohne Zweifel direkt auf unsere Wirtschaft und somit auf unseren Wohlstand auswirken.

Der Ernst der Lage ist nicht zu unterschätzen, dennoch gibt es glücklicherweise Ansätze zu deren Entschärfung. Darüber zu sprechen, ist aber nicht ausreichend. Es braucht jetzt konkretes und rasches Handeln. Die Wirtschaft, die Sozialpartner und die Politik sind gleichermassen in der Pflicht, eine Verbesserung herbeizuführen und attraktivere Bedingungen zu schaffen.

Die Unternehmen müssen in erster Linie ein attraktives Umfeld für Arbeitnehmende schaffen. In verschiedenen Branchen, unter anderem in der Gastronomie und der Hotellerie, wird bereits die Viertagewoche angeboten. Unternehmen müssen bereit sein, Neues auszuprobieren. Corona hat uns gezeigt, dass wir uns innerhalb weniger Tage an eine komplett neue Situation gewöhnen können. Das wird langfristig Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Arbeitnehmende haben gemerkt, dass es nicht nur die Arbeit gibt. Die Gewichtung hat sich verschoben, der Wunsch nach mehr Flexibilität in der Arbeitswelt und mehr Zeit mit der Familie hat zugenommen. Dem muss Rechnung getragen werden.

Das allein wird nicht ausreichen, um den Arbeitskräftemangel zu reduzieren. Zwei Beschäftigungskategorien bieten glücklicherweise nach wie vor besonders viel Potenzial: Frauen und Personen im Rentenalter.

Aktuell arbeiten zu viele Frauen Teilzeit. Laut B FS waren im 3. Quartal 2022 rund 700'000 Personen unterbeschäftigt, erwerbslos oder in der sogenannten stillen Reserve. Mit stiller Reserve sind Menschen gemeint, die Arbeit suchen, jedoch nicht sofort verfügbar sind, oder die für eine Arbeit verfügbar, jedoch nicht aktiv auf Arbeitssuche sind. Der Frauenanteil in dieser Gruppe betrug im Beobachtungszeitraum 61,1 %. Das BFS beziffert das zusätzlich gewünschte Arbeitsvolumen dieser Personen auf insgesamt 248'000 Vollzeitäquivalente.

Der hohe Frauenanteil begründet sich vor allem durch junge Mütter, die wegen fehlender oder zu teurer Kinderbetreuung nicht im gewünschten Ausmass arbeiten können. Hier ist einerseits der Staat verpflichtet, effiziente Kinderbetreuungsoptionen zur Verfügung zu stellen, andererseits liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen.

Die Erwerbstätigkeit über das ordentliche Rentenalter hinaus bietet ebenfalls grosses Potenzial. Laut einer Studie, die vom SECO in Auftrag gegeben wurde, liegt die Erwerbstätigkeit der 65- bis 74-Jährigen bei rund 74'000 Vollzeitäquivalenten. Die gleiche Studie rechnet vor, dass im besten Fall bis zu 108'000 zusätzliche Vollzeitäquivalente einer Erwerbstätigkeit nach dem Rentenalter nachgehen möchten. Auch um dieses Potenzial auszuschöpfen, müssen der Staat (z.B. durch eine Flexibilisierung des Rentenalters) und die Unternehmen (z.B. durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit oder Aus- und Weiterbildungsangebote) die Attraktivität steigern. Ausserdem muss in den Unternehmen ein Kulturwandel stattfinden. Als Fazit können wir festhalten, dass es sowohl den politischen, den unternehmerischen als auch den Willen der Sozialpartner braucht, um gemeinsam erfolgreich die Zukunft der heutigen Arbeitswelt zu gestalten.

Ich möchte in diesem Beitrag nicht zu detailliert auf die Notwendigkeit der Zuwanderung eingehen. Wie wir wissen, ist dies politisch ein heikles Thema. Klar ist, dass sich unser Wohlstand nur dann sicherstellen lässt, wenn wir die zusätzlich benötigten Fach- und Arbeitskräfte im Ausland rekrutieren können. Darum kommen wir nicht herum.

swissstaffing, der Verband der Personaldienstleister, bringt sich seit längerem in die politische Debatte ein und setzt sich für die Schaffung attraktiver, realistischer Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt ein.

Eine grosse Mehrheit der oben erwähnten, potenziellen, Fach- und Arbeitskräfte werden den Wunsch haben, einer flexiblen Arbeitsform nachzugehen. Die Mitglieder von swissstaffing sind in der einmaligen Lage, dieses Potenzial professionell in die Arbeitswelt zu integrieren und dort zu halten. Zudem entspricht unser allgemeinverbindlich erklärter GAV – der aufgrund der hohen Mitgliederzahl des Verbands der grösste GAV der Schweiz ist – den höchsten sozialen Anforderungen. Flexworker leisten einen enormen Beitrag zum Erhalt unseres Wohlstandes.

Ich wünsche allen ein gesundes und erfolgreiches Jahr.

Leif Agnéus
Präsident swissstaffing

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