Podiumsdiskussion: Innovation, Flexibilität und der Wunsch nach Stabilität – ein Widerspruch?

Mit Marco Salvi (Avenir Suisse) Giorgio Pardini (syndicom), Leif Agnéus (Manpower) und Jürgen Schmidhuber (IDSIA). Moderiert von Reto Lipp. Ein Rückblick.

«Die Digitalisierung hat die gesetzlichen Grenzen noch nicht gesprengt. Aber das kann noch kommen.» Giorgio Pardini betont, dass wir ein genügend liberales Arbeitsgesetz haben, das den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist. Die voranschreitende Digitalisierung hat diesen gesetzlichen Rahmen noch nicht gesprengt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass gesetzliche Anpassungen immer nur langsam und dann geschehen, wenn ein Missstand existiert. Die Sozialpartnerschaft soll spezifische branchenbezogene Lösungen finden. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Technologisierung kommt der Weiterentwicklung des Sozialsystems als Brückenfunktion eine grössere Bedeutung zu; hier sind die Politik wie die Sozialpartnerschaft gleichermassen gefordert. Es könnte z.B. die Arbeitslosenversicherung in eine Art Weiterbildungsversicherung transformiert werden, damit wären die Arbeitnehmenden gegen die «éducation permanente» sozial abgesichert. Bei Sunrise und Swisscom beispielsweise haben die Arbeitnehmenden einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das ist eine Pionierarbeit.

Dazu ergänzt auch Marco Salvi: «Das Arbeitsgesetz stammt noch aus der Zeit der Industrialisierung, wo an einem festen Ort zu einer festen Zeit gearbeitet werden musste. Das ist überholt. Es müsste heute geprüft werden, ob es eine dritte Arbeitsform zwischen Unselbständigkeit und Selbständigkeit braucht, nämlich den «Unselbständig Selbständigen»; dieser kann selber entscheiden, wieviel er arbeiten möchte.»

Podiumsdiskussion: Innovation, Flexibilität und der Wunsch nach Stabilität – ein Widerspruch?

«Bei Gig Work geht es aktuell mehr um einen Hype als um eine effektive Veränderung. Was wir jedoch beobachten ist, dass die Flexibilität steigt und die Teilzeitarbeit wächst.» Marco Salvi: 1850 waren 350'000 Leute in der Landwirtschaft tätig, heute sind es lediglich noch 3% der Arbeitnehmenden. Eine Studie von Avenir Suisse hat gezeigt, dass in der Realität auf dem Arbeitsmarkt bis dato keine grosse Umwälzung stattgefunden hat. Auch in den USA gibt es heute weniger «contingent workers» als vor 15 Jahren. Die sichtbaren Veränderungen heute sind, dass die Teilzeitarbeit wächst und die Leute weniger arbeiten; wir entwickeln uns in eine Richtung, wo die Arbeitnehmenden mehr Freizeit haben.

«Die stetige Weiterentwicklung wird wichtiger. Denn unsere Berufswelt verschiebt sich kontinuierlich in die Richtung von mehr Fachkräften und Spezialisten.» Der frischgebackene Präsident Leif Agnéus betont die Wichtigkeit der Weiterbildung im zukünftigen Arbeitsmarkt. Darin sind sich die Podiumsteilnehmer sehr einig. Giorgio Pardini wirft auch die Frage auf, ob es nicht Aufgabe des Staates sei, Weiterbildung als Recht von jedem festzulegen. Eine Art Bildungsversicherung werde benötigt. Besonders wichtig in der Schweiz sind auch die KMUs. Leif Agnéus zeigt auf, dass 70 Prozent aller Arbeitsplätze durch KMUs gestemmt werden. Und KMUs sind zum Glück anpassungsfähig. Allgemein brauche es ausserdem mehr Mut zu „Trial and Error".

«Es ist zu beobachten, dass alle Länder mit einer hohen Roboterdichte pro Einwohner eine niedrigere Arbeitslosenquote haben, weil neue Jobs entstanden sind.» Jürgen Schmidhuber zeigt auf, dass vor 30 bis 40 Jahren mit der Einführung der ersten Industrieroboter trotzdem nicht alle Jobs wegrationalisiert worden sind. Im Gegenteil; der Effekt auf die Arbeitslosigkeit war sogar positiv.

Wo werden wir in den nächsten 5 Jahren stehen? Die Schlussvoten der vier Teilnehmer:

Jürgen Schmidhuber: «Männer sind einfacher durch künstliche Intelligenz zu ersetzen als Frauen.» In der industriellen Revolution wurden Männer durch grosse Maschinen, danach durch ganze Automatisierungsprozesse ersetzt. Die Geschichte zeigt, dass es immer schwieriger war, Frauen durch Maschinen zu ersetzen. Frauen sind Problemlöser, die viele Arbeiten durch Multitasking erledigen. Männer hingegen haben eher einen Tunnelblick und folgen einem geradlinigen Prozess, den die künstliche Intelligenz übernehmen kann. Die Zukunft liegt somit im Multitasking.

Marco Salvi: «Was die Entwicklung des Arbeitsmarktes in den nächsten 5 Jahren betrifft, gehe ich davon aus, dass wir ungefähr am gleichen Ort stehen werden; wesentlicher als die Technologisierung scheinen mir andere externe Faktoren zu sein, z.B. wie sich die Beziehung der Schweiz zur EU entwickelt.»

Giorgio Pardini: «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht hinter die Errungenschaften des Arbeitsgesetzes zurückfallen; Brasilien beispielsweise hat ihr Arbeitsgesetz aus dem 19. Jahrhundert revidiert. Nun gibt es den Status des Arbeitnehmenden nicht mehr und jeder muss seine Arbeit im Sinne eines Werkvertrages anbieten. Die nächsten 5 Jahre werden viele technologische Neuerungen mit sich bringen, wobei es meines Erachtens zwei Risiken gibt; die Investitionstätigkeit und die Politik (...).»

Leif Agnéus: «Ich bin zuversichtlich, dass wir weiter arbeiten werden. Aber die Art der Arbeit wird sich ändern. Unsere Branche kann hier tatkräftig mithelfen, sodass die Arbeitsbedingungen und Absicherung für alle stimmt.»