Die Corona-Krise: Ökonomische Einordnung und Perspektiven

Die Corona-Krise könnte sich zur einschneidendsten Wirtschaftskrise seit Ende des zweiten Weltkriegs entwickeln. Drei Gründe sprechen dafür: Die Krise wirkt weltweit. Ihr negativer Einfluss betrifft so viele Wirtschaftszweige wie kaum zuvor. Angebot und Nachfrage erleiden gleichermassen einen Schock. Dennoch besteht Hoffnung. Die vergangenen Krisen haben uns aus rein wirtschaftlicher Optik ein stückweit vorbereitet und – wie immer – eröffnet jede Krise auch neue Perspektiven.

Doch langsam. Wie wirkt sich die Corona-Krise konkret auf die Wirtschaft aus? Die nationalen Lockdowns lösen einerseits einen Schock auf der Nachfrageseite aus. Geschäftsschliessungen und Veranstaltungsverbote hindern Konsumenten am Kauf von Waren und Dienstleistungen. Die sich abzeichnende Wirtschaftskrise belastet nicht nur die Kauflaune der Verbraucher, sondern auch die Investitionsfreude der Unternehmen, die zunehmend Liquiditätsprobleme bekommen. Andererseits führen auf der Angebotsseite Betriebsschliessungen zu Produktionsausfällen und unterbrochenen Lieferketten. Ausfallende Mitarbeitende und Hygienemassnahmen senken die Produktivität der Firmen zusätzlich. Zuletzt verteuert ein starker Franken heimische Produkte, die im In- und Ausland auf eine sinkende Nachfrage treffen. Der doppelte Angebots- und Nachfrageschock führt zu einem starken Rückgang der Produktion und hätte – ohne sofortiges politisches Handeln – zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt.

Glücklicherweise haben uns vergangene Krisen auf Rezessionen dieser Art vorbereitet – angefangen bei der grossen Depression, über die Ölkrisen und die Internet-Blase bis hin zur Finanzkrise. Volkswirte und wirtschaftspolitische Praktiker haben gelernt und einen breiten Werkzeugkasten entwickelt, um die Folgen von Konjunktureinbrüchen abzuschwächen. Die schnelle und beispiellose Reaktion des Bundesrats mit Kurzarbeit und Liquiditätshilfen der Wirtschaft beizuspringen, hilft Massenpleiten, Arbeitslosigkeit und die Auflösung wirtschaftlicher Unternehmensnetzwerke zu vermeiden. Die Idee dieser Massnahmen: Die Wirtschaft in eine Art Pausen-Modus zu versetzen, damit diese nach der Krise wieder rasch an Fahrt gewinnen kann.

Warum sollte ein solcher Wirtschaftsstopp funktionieren? Im Unterschied zur Finanzkrise oder der Internet-Blase wurde die aktuelle Krise durch einen Virus und nicht durch eine systematische Fehleinschätzung der Wirtschaftsakteure ausgelöst. Zwar sind damit die ökonomischen Folgen in Form von Rezession und Börsenkrach gleich, die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftssystems wird aber nicht unmittelbar in Frage gestellt, sofern staatliche Stützungsmassnahmen greifen. Im Gegenteil: Geschäftsgespräche beginnen dieser Tage mit der Frage nach der Gesundheit und der persönlichen Situation. Noch wird so das Vertrauen zwischen Geschäftspartnern eher gestärkt als gestört und die Krisenbewältigung als zentrales Ziel erkannt. Keine Frage. Ohne Staatseingriffe oder bei zu langer Dauer des Lockdowns steigt die Gefahr, dass Verteilungskämpfe diese gemeinsame Basis zerstören. Doch noch liegen die wirtschaftspolitischen Trümpfe in den Händen von Wirtschaft, Politik und Sozialpartnern.

Die Risiken in der aktuellen Krise sind jedoch nicht klein zu reden. Neben drohenden Verteilungskämpfen besorgt insbesondere, wie lange Staaten den extremen finanziellen Belastungen standhalten können. In der Schweiz – als einem der am wenigsten verschuldeten Länder der Welt – ist diese Frage von geringerer Bedeutung. Was machen aber zum Beispiel Länder wie Japan, Italien oder die USA, deren Verschuldungsgrad bereits heute weit über 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts liegt. Corona könnte eine neue Schuldenkrise der öffentlichen Hand auslösen, die auf die Privatwirtschaft und das Finanzsystem durchschlägt. Unkonventionelle Massnahmen der Zentralbanken könnten an diesem Punkt die letzte Rettung sein. Doch auch wenn die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, warten auf den Staat riesige organisatorische Aufgaben. Einerseits ist sicherzustellen, dass die Gelder schnell fliessen, um Pleiten zu verhindern. Andererseits besteht die Gefahr von Trittbrettfahrern, die durch Missbrauch den Staat überfordern. Diese organisatorische Meisterleistung muss nicht nur bei uns, sondern möglichst weltweit gelingen, um grösseren Schaden abzuwenden. Und schliesslich dürfte es drittens zwar durchaus starke Nachholeffekte nach der Krise geben, aber dennoch geht ein grosser Teil der Wirtschaftsleistung unwiederbringlich verloren. Deswegen variiert die Einschätzung der konjunkturellen Lage bei den Forschungsinstituten derzeit so stark. Während die ZKB mit einem Minus von 0,5 Prozent am optimistischsten ist, geht das BAK von einem Minus von 2,4 Prozent aus. Mit Blick auf 2021 ist das Seco mit 3,3 Prozent am optimistischsten, während die übrigen Institute mit einem Plus von um die 1 Prozent rechnen.

Die Corona-Pandemie wird Entwicklungen begründen oder beschleunigen, die neue Perspektiven eröffnen. Kurzfristig macht die Temporärbranche die Erfahrung, dass Personaldienstleister im Notstand systemrelevant sind. Die Arbeitsnachfrage hat sich über Nacht stark verschoben. Neben starken Verlusten im klassischen Geschäft sind Gesundheitswesen, Logistik, Lieferdienste, Landwirtschaft, IT-Dienstleister und Reinigungspersonal dringend auf zusätzliches Personal angewiesen. Personaldienstleister leisten täglich einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung. Mittelfristig bieten sich Temporärunternehmen neue Chancen. Der Lockdown zwingt Arbeitgebende und Arbeitnehmende zu Flexibilität, die mancher nachher nicht mehr missen möchte. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf Freelancer, wie unsicher die Arbeitsform der Selbständigkeit in Krisenzeiten sein kann. Die Temporärarbeit bietet mit ihren Dienstleistungen einen spannenden Mittelweg zwischen den Extremen. Langfristig werden sich Unternehmen und Shareholder überlegen, ob kritische Vorleistungen nicht allein in Asien, sondern zur Risikoverteilung auch vor Ort produziert werden sollten. Eine Rückverlagerung der Produktion wird mehr und anders ausgebildete Arbeitskräfte erfordern. Als Integrations- und Arbeitsmarktspezialisten können Personaldienstleister diesen Transitionsprozess begleiten. Diese Perspektiven zeigen: Trotz tief roter Zahlen in vielen Geschäftsfeldern ist nicht nur Pessimismus, sondern auch Zuversicht angezeigt. Helfen wir als Temporärbranche die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.