Welche Art von Arbeit wollen wir?
Während sich die Welt von den durch die Covid-19-Pandemie verursachten Umwälzungen erholt, befinden sich Arbeitnehmende und Arbeitgebende gleichermassen an einem Scheideweg. Wie können die sich verändernden Arbeitspräferenzen auf der einen und die wirtschaftlichen Realitäten der Unternehmen auf der anderen Seite unter einen Hut gebracht werden? Und inwiefern fördern Unternehmen, die flexible Personallösungen anbieten, diesen dringend benötigten Wandel hin zu einer «neuen Normalität»?
Um diese Dynamik zu ergründen, hat sich die World Employment Confederation (WEC), der internationale Dachverband von swissstaffing, im Rahmen eines umfassenden zweijährigen Projekts mit dem Titel «The Work We Want» mit FT Longitude zusammengetan. Sie befragten 715 Unternehmen aus 22 Ländern und führten Gespräche mit politischen Entscheidungstragenden, HR-Branchenanalystinnen und -analysten, CEOs globaler Unternehmen und Gewerkschaften, um Einblicke in den komplexen modernen Arbeitsmarkt zu gewinnen.
Fachkräftemangel: ein drängendes Problem
Im Mittelpunkt dieser Studie steht der weltweite Mangel an Fachkräften, der nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem technologischen Fortschritt, dem demografischen Wandel und einer sich verändernden Einstellung zur Arbeit steht. Die Statistiken sind alarmierend: In den Volkswirtschaften der USA, Japans, Chinas und Europas gibt es Millionen unbesetzter Stellen.
In der Schweiz lag die Quote der offenen Stellen im ersten Quartal 2024 bei 2,0 Prozent, in der EU bei 2,6 Prozent. «Dieser Mangel bremst nicht nur das Wirtschaftswachstum, sondern ist auch eine Herausforderung für Unternehmen, die in einer zunehmend digitalen Welt wettbewerbsfähig bleiben wollen», weiss Marius Osterfeld, Leiter Ökonomie & Politik swissstaffing und Vorstandsmitglied der World Employment Confederation WEC.
Tabelle 1: Quote der offenen Stellen
Die Pandemie hat diese Problematik noch verstärkt. Viele Menschen haben begonnen, ihre Work-Life-Balance zu überdenken. Sie wünschen sich mehr Autonomie und Flexibilität abseits des klassischen Arbeitsmarkts. Um diese konkurrierenden Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen, müssen Unternehmen innovative Strategien zur Erweiterung des Talentpools entwickeln.
Innovative Strategien zur Einbindung von Arbeitskräften
Laut der Studie «The Work We Want» besteht ein wirksamer Ansatz darin, nicht ausgelastete Segmente im Arbeitsmarkt zu erschliessen. Dazu gehören beispielsweise Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen und Asylsuchende, die in neuen Ländern auf rechtliche Hürden stossen. Interessanterweise erkannten 81 Prozent der Befragten, dass Unternehmen dank einer verstärkten Arbeitsmigration verschiedene Kompetenzen nutzen können, die zur Schliessung von Wissenslücken erforderlich sind. Ausserdem ergab die Studie, dass die Verbesserung der Effizienz bei der Personalbeschaffung – wie z. B. ein einfacherer Zugang zu Bewerbungen (von 47 % der Unternehmen genannt) und die Diversifizierung der Rekrutierungsquellen (33 %) – für die Gewinnung von Talenten von entscheidender Bedeutung ist.
Um das Potenzial dieser Talentpools auszuschöpfen, müssen Unternehmen jedoch nicht nur flexible Arbeitsregelungen anbieten. Sie müssen auch eine inklusive Arbeitskultur am Arbeitsplatz schaffen, die sicherstellt, dass sich alle Mitarbeitenden wertgeschätzt fühlen und ihre Fähigkeiten einbringen können.
Die Notwendigkeit von Weiterbildung und Umschulung
Neben der Schaffung eines unterstützenden Umfelds ist es für die Gewinnung und Bindung von Fachkräften wichtig, allen Mitarbeitenden Fähigkeiten zu vermitteln, die sie benötigen, um beruflich erfolgreich zu sein. Durch den Wandel der digitalen Landschaft ist es notwendig, in Weiterbildungs- und Umschulungsinitiativen zu investieren. Das rasante Tempo der technologischen Innovation, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, erfordert kontinuierliche Fortbildungen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden für die Zukunft gerüstet sind.
Tabelle 2: Die 10 Berufe, die über Online-Stellenanzeigen weltweit am schwersten zu besetzen sind – 2. Quartal 2024
81 Prozent der Führungskräfte sind der Meinung, dass die Unternehmen aufgrund der technologischen Umwälzungen die Qualifikationen ihrer Mitarbeitenden grundlegend überdenken müssen. 78 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sie ihre Mitarbeitenden nicht schnell genug schulen können, um mit den technologischen Fortschritten Schritt zu halten.
Ein vielseitiger Ansatz
Zur Bewältigung dieser Herausforderungen müssen Unternehmen einen gemeinsamen Ansatz mit Regierungen und politischen Entscheidungstragenden verfolgen. Einheitslösungen haben dabei ausgedient. Stattdessen ist eine vielseitige Strategie erforderlich – von der Nutzung von KI zur Steigerung der Produktivität bis hin zur Förderung flexiblerer Arbeitsumgebungen, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht werden.
Für eine erfolgreiche Personalplanung ist vor allem Agilität entscheidend. Führungskräfte berichten, dass der digitale Wandel und der Wunsch nach flexiblen Arbeitsregelungen zu den grössten Herausforderungen der kommenden Jahre gehören werden. 92 Prozent der Führungskräfte äusserten die Notwendigkeit einer flexibleren Belegschaft und bevorzugen Strategien, die branchenspezifische Talentpools nutzen – engagierte Gruppen mit relevanten Fähigkeiten, zu denen ehemalige Mitarbeitende, Freischaffende und Pensionierte gehören können.
Der Aufschwung der Temporärmitarbeitenden
Da Flexibilität immer wichtiger wird, greifen immer mehr Unternehmen auf Temporärmitarbeitende zurück – 88 Prozent der befragten Unternehmen planen, ihre Belegschaft auf diese Weise zu verstärken. Bereits heute machen Temporärmitarbeitende in 85 Prozent der befragten Unternehmen in der Schweiz zwischen 10 und 19 Prozent aller Einstellungen aus. Dieser hohe Anteil von Temporärmitarbeitenden an der Gesamtbelegschaft der Unternehmen ist bei einer geringeren Anzahl der befragten Unternehmen (57 %) weltweit zu beobachten.
«Diese Verlagerung bietet nicht nur die Möglichkeit, flexibel auf sich ändernde unternehmerische Anforderungen zu reagieren», sagt Marius Osterfeld von swissstaffing. «Sie bringt auch digitale Kompetenzen und hochkarätige Bewerbende mit sich, die Innovationen vorantreiben können.»
Darüber hinaus fördert der Einsatz von Temporärmitarbeitenden den Wissenstransfer: 79 Prozent der Führungskräfte bestätigen, dass sich der Einsatz von Arbeitskräften, die über Kenntnisse in neuen Technologien verfügen, positiv auf die Fähigkeiten des festangestellten Personals auswirkt.
Ein Spektrum an Arbeitsmöglichkeiten schaffen
In der sich wandelnden Arbeitslandschaft hat sich die Idee einer binären Opposition von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zugunsten eines komplexeren Spektrums von Möglichkeiten verschoben. Politische Entscheidungstragende sollten verschiedene Arbeitsformen nicht als zweitbeste Lösung ansehen, sondern als wertvolle und bewusste Alternativen, welche die Mitbestimmung der Mitarbeitenden und ihr Wohlbefinden fördern. Die meisten CEOs (82 % weltweit, 77 % in der Schweiz) sind sich einig, dass das Konzept, dass eine Person im Laufe ihres Lebens nur einen einzigen Karriereweg einschlägt, endgültig überholt ist. Arbeitgebende wissen, dass sie sich anpassen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, den Anschluss zu verlieren.
Die Studie «The Work We Want» macht eines deutlich: Flexibilität, Inklusivität und Anpassungsfähigkeit sind die Grundpfeiler einer erfolgreichen Zukunft der Arbeit. Unternehmen müssen die Komplexität der modernen Arbeitswelt mit einem durchdachten Ansatz bewältigen und ein Umfeld schaffen, das auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingeht – und letztlich ein besseres und erfüllenderes Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben für alle möglich macht.
Indem wir diese Veränderungen fördern, ebnen wir den Weg für eine Zukunft, in der sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende in einer vernetzten, dynamischen Arbeitswelt erfolgreich sein können.
Autorinnen: Viktorija Proskurovska, Labour Market Intelligence Manager WEC Global / Aurélie Pattyn, Communications Manager WEC Global